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DerRauch von Lenzing

der rauch von lenzing (condensed)

 

Ein schöner Tag.

 

Es war ein schöner Tag. Warm war er und hell. Und voller Gerüche, wie das ist am Land.

 

Ein schöner Sommertag voll satter Ruhe, die Landschaft flirrt in der aufsteigenden Hitze. Auf einer Holzbank sitzt er, lümmelt die Ellbogen auf den Tisch, giesst aus einem kantigen Krug Most in seinen Schädel.

 

Die Kastanie spendet Schatten. Ein wenig Kühlung bringt der Wind, der leicht vom Wald herüberstreicht über den Acker und das Kleefeld. Der säuft den Most in sich hinein. Und raucht.

 

Ich bin schon früh heraus. Vor dem ersten Sonnenstrahl hab ich die Reste hinübergebracht zu den Büschen. Ich füttere die Füchse, sagen sie, und ich stell die Milch hinaus für die Igel. Das macht man nicht am Land.

 

Hinterm Haus stehen drei Birnen. Und Apfelbäume. Waren viele. Eine ganze Allee. Neben dem Haus steht die Kastanie. Gibt nicht viele Kastanien in dieser Gegend. Meine Grossmutter hat sie da hingesetzt. Wachsen schnell, hat sie gesagt, und die Maroni kann man essen.

 

Ein Haufen Kinder waren da und dann der Krieg. Erst der eine, ein Weltkrieg. Dann der andere, in Gottesfurcht ertragen. Und die Angst, wer diesmal nicht heimkommt von der Front, aus den Lagern. Gestohlene Leben.

 

Wie der Grossvater dann wieder da war, also daheim, da waren die Soldaten schon lange fort. Die letzte Kuh war weggetrieben, die Hühner geschlachtet, die Sau abgestochen. Die Mädchen sind nicht schwanger geworden.

 

Ein riesengrosser Zorn ist geblieben. Ein Zorn, der still macht. Und der den Kopf hineinsenkt in die Arbeit. Arbeit gibt es ja genug.

Irgendwie geht es immer weiter.

 

Der Grossvater hat zugearbeitet als Maurer. Und wie ich dann auf die Welt gekommen bin, da waren drei Kühe im Stall und ein braver Stier. Und Säue waren da und eine Schar Hühner. Was Fleiss alles kann.

 

Sitzen, saufen‚ rauchen.

 

Der Rauch zieht immer in die selbe Richtung. Oder woandershin.

 

Most.

 

Den Most macht immer der Grossvater. Viel Most nicht, nur was wir brauchen. Der Grossvater.

 

Der Grossvater ist schon lange tot.

 

Da sitze ich. Die ganze Zeit sitz ich da. Wie die Sonne sich senkt, werd ich wieder nüchtern. Hab mich nüchtern gesoffen. Ich blicke in den Westen.

 

Rot. Rot und gross vergeht die Sonne da vorn. Und die Nacht steigt auf. Grün erst, und dann blau. Dann schwarz. Sterne, jede Menge Sterne. Und schwarz. Und Neumond. Und ein kalter Wind.

 

Da steh ich auf. Ich geh ins Haus. Jetzt wird gegessen. Speck ist da und Eier und Tomaten. Und Brot. Natürlich Brot. Mit Butter und mit Käse und mit Schnittlauch drauf. Und Kaffee dazu. Drei Häfen Kaffee. Es wird geraucht. Gefressen.

 

Räumt auf, wäscht ab. Kaffee ist da.

 

Most. Geht hin und her. Raucht.

 

Draussen die Nacht. Die Sterne.

 

Die Sterne.

 

Weich wie ein Bett die Finsternis. Alles dreht sich.

 

Am Ende bin ich dann allein, denk ich. Ein kleines, angstgetränktes Ich, das um eine Sonne kreist, bis diese sich aufbläht und mich frisst. Ich. Wie nahe bin ich denn der Wirklichkeit? Und was ist weit? Ist es die Angst, die mich aus dem Paradies verstossen hat? Das wär eine schöne Religion: Ich bin das Nichts. In mich versenkt. Das Auge kreist im Nabel. Die Erkenntnis gebiert sich selbst. Alles ist Nichts in keiner Zeit. Wenn die Sonne nicht wär, oder dass ich im Frühjahr recht geil bin - das hält mich an der Erde fest, denk ich. Oder das Feuer, da bin ich mir sicher.

 

Die Gedanken. Da hat ein jeder Recht. Da ist dann das eine für den einen zwingend, das verkettet sich dann logisch. Das ist das Angesicht der Welt. Die sieht ein jeder, wie ers braucht. Die wehrt sich ja nicht. Und das Messbare wird eingefügt, gedruckt. Träum ich, denk ich, dass ich denke? Oder, träum ich, denk ich, dass ich träume?

 

Das Leben ist für alle gleich. Erst die Geburt, dann kommt das Elend, dann kommt der Tod. Ein Wurschtbrot ist ein Wurschtbrot ist ein Wurschtbrot. Dem Leben ist es gleich, wer es lebt. Denkt das denn? Was ist es denn? Wenn ich mehr Ruhe hätte, bräucht ich nicht sterben. Und wenn ich schon gestorben bin? Das ist so unbegreifbar, das zerreisst mir noch den Schädel.

 

Nicht an der Lampe reiben, raunt der Teufel aus der Dunkelheit. Ha, zu spät, lacht Gott, ich bin schon da. Tuts schön glauben, spricht Gott, der eigentlich der letzte Djinni ist, vom Wissen habt ihr keine Ahnung. ICH, sagt Gott, das bin ICH. Also ER, wenn ihr zu andren von MIR redet. Neben MIR verblasst alles Sein zu Nichts. ICH habe MICH aus MIR selbst erschaffen.

 

Mostrauschträume, denke ich, das sind Mostrauschträume.

 

Irgendwann, denke ich auf einmal, schreibt hier einmal einer d e n Satz und dann kommt der letzte Djinni. Oh ja, sagt er, eine lange Ewigkeit hab ich gewartet. Und er dehnt sich und er streckt sich und er schaut sich um und, was ist das, sagt er, wer bist denn du? Und der sagt, keine Ahnung, ich sitz nur hier und schreibe. Und er, der GROSSE, sagt, wieder vergebens, alles vergebens, hier sollten fünf Affen sitzen oder mehr und Shakespeare in die Schreibmaschine hämmern, und der Schreiber sagt, ich bin gut für fünf Affen oder mehr oder auch Shakespeare, und der Djinni sagt, oh nein, fünf von eurer Sorte, gut, es schaut ja niemand zu, aber du, du bist allein, das ist nicht gut, nicht für dich und nicht für mich. Ich muss mich kratzen, sagt er, lange Zeit juckt fürchterlich.

 

Du darfst mich etwas fragen, sagt er, und er kratzt sich dimensional. Und Fünfaffenodermehr fragt, gibt es, fragt er, gibt es ein Leben nach dem Tod. Und ER, ER diesmal, sagt, wer kann das wissen, sagt ER, und die Sterne fielen vom Himmel in den Kopf von Fünfaffenodermehr und er wusste nichts mehr und die Zigaretten waren auch aus und schöner Kaffee macht kalt und Fünfaffenodermehr sitzt da, das ist der Blues, sagt er, und, die Zeit der Drogen ist vorbei, was kostet die Welt, und Fünfeuroodermehr sagt, einen Affen, brich aus, sagt er, es passt hier keiner auf, wir sind allein zu Haus. Frei, endlich frei, mein Vater ist gegangen und die Sterne sind in meinem Kopf, ich weiss nicht, was soll es bedeuten, ich bin frei, ich muss hier raus, die Innenseite ohne Aussenseite, die Kraft und die Herrlichkeit, ich komme hier nicht weg, das kostet mich das Leben.

 

Schreitet stolz ein Virus einher. Hallo, sagt er, da wäre ich dann also. Hallo, sage ich, willkommen. Ich sehe was, was du nicht siehst, sagt der Virus, und wirklich hab ich ihn nicht mehr gesehn. Und nicht viel später dann, da habe ich, knapp über dem Knie, ein Karbunkel gefunden. Eine kleine Beule, hab ich mir gedacht, und mich gekratzt, das geht, wie es gekommen ist. Bis es ein Kranz war, gleich über dem Knie, richtig rundherum. Dann hat es angefangen, sich hineinzufressen. Warum, hab ich gedacht, wach ich nicht auf, das ist ein Scheusaltraum, der Most, denk ich, wach auf. Hat sich hineingefressen, hat sauber den Knochen durchgenagt, das Bein ist einfach abgefallen.

 

Die Spanierin, ein Bein kost ich, hat sie gesagt, und ich, das trifft sich gut, ich hab hier eines. Gut, sagt sie, das kommt dann in die Suppe, die Kinder haben Hunger, ich kann nicht mit dir schlafen. Natürlich nicht, sag ich, wer will schon einen Mann mit einem Bein. Wach auf, sag ich. Dann muss ich gehn, sagt sie, und wir werden uns nicht wiedersehn. Die Kinder sind satt, so spielt es keine Rolle, sage ich. Und sie sagt, was sind das bloss für Würmer, nicht einmal die Knochen haben sie dir gelassen, wie siehst du aus, ich kann dich nicht mehr sehn. Ich sehe aus, sag ich, wie tausend Würmer, und die Knochen, die sind in der Suppe. Oh ja, sagt sie, das war eine feine Suppe, aber die Würmer, das bist du? Die Würmer, sage ich, das bin ich. Und sie sagt, ich mag doch keine Würmer. Wer mag schon Würmer, sag ich dann, sieht aus, als wärs ein Albtraum. Ich bin die Spanierin mit grossen Brüsten, sagt sie. Für uns Würmer ist das nichts. Ich bin ein spanischer Wurm mit grossen Brüsten und mein Name ist Lolita. Das ist schön, sag ich, ich muss jetzt gehn. Tausend Dank für deine Mühen, wach jetzt auf, sagt sie. Ich wache auf, eben wach ich auf, sag ich, und bin die Spanierin mit grossen Brüsten.

 

Hört das denn nie auf, denke ich. Und sie sagt nur, du hast mir dein Bein gegeben, keiner vor dir hat mir sein Bein gegeben, du kannst bleiben. Aber ich, sag ich. Du bist die Suppe, sagt sie, und die tausend Würmer, du bist mein Busen. Na gut, sag ich, ich bin dein Busen, weck mich auf, wenn ich erwache. Das bist du schon, sagt sie, du bist ich. Und dein Busen? Das bist du auch. Na gut, sag ich, ich wach jetzt auf, und weg war sie und ich war Spanierin mit grossen Brüsten. Das ist ein Leben, dachte ich, und spielte mit den Busen. Siehst du, sagt sie, so kann es sein. Da bin ich dann geblieben.

 

Das Bein in unserm Kopf, wir wachen nie auf, das ist ein Traum, denk ich, der hört nie auf. Du bist ich, sagt sie, das Bein lässt dich nicht gehn, und ich war tausend arme Würmer, und da kam ich tatsächlich nicht mehr raus. Ich habe ihn, sagt sie, und das hat sie dann auch wirklich, und ich, ich sag, es ist gut, lass uns jetzt schlafen gehn, und ich war eine Spanierin mit grossen Brüsten, oder ein Russe, oder ein wurschtbrotartiges Gebilde, etwas Etwas war ich.

 

Sehen sie, Herr Diskonter, natürlich sind sie billig, fürs Einkaufswagerlzusammenschieben krieg ich sechsfünfzig an Ultimo, ich bin auch billig. Idiot, wer sagt das, ist keine Beleidigung, beschreibt ja nur den Zustand. Sie sind ein Idiot, sag ich, und er, das ist ein Fortschritt, wir sehn uns dann Freitag, den Nächsten. Ist recht, sag ich, und zieh den Pullover überm Busen stramm, damit ihm einer in die Hosen geht, und er sagt, hallo, sagt er, so werden sie mich nie kriegen. Hab sie schon, sag ich und war schon draussen bei der Tür. Was für ein Wurm, denk ich und geb´ der Schwester einen Blick, dann bin ich in die Tür gerannt. Noch eine Tür, denk ich, die hab ich gar nicht kommen sehn.

 

Die geht nach innen, sagt die Schwester. Auffispuckn, owigfoin, und, heute bin ich wieder geil, sag ich, und sie, was soll das werden mit uns zwei, und ich, hier komm ich sowieso nie raus, ich kann die Türen nicht nach innen. Das ist der Fluchtweg, sagt sie, und, wo also soll es jetzt sein. Ist mir egal, sag ich und zieh den Pullover übern Kopf. So grosse Brüste, sagt sie, mag ich gern. Die sind aus Spanien, sage ich, ihretwegen bin ich hier. Behalt sie noch ein Weilchen, sagt sie, wir sehn uns also dann Freitag, den Nächsten und hängt die Türe aus für mich. Danke, sage ich. Für grosse Brüste, sagt sie, mach ich alles. Ich geh jetzt schlafen, sagt der Pfleger. Ist schon recht, ich pass schon auf‚ dass keiner aufwacht, sage ich. Du bist wach, sagt er, und ich, ich wache nie mehr auf‚ hier komm ich nie mehr raus. Bei diesen Titten ist das kein Fehler, wir haben alle eine rechte Freud damit. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt, sag ich, und liege immer noch im Bett.

 

Tot, denk ich, jetzt bin ich tot. Und dann: Erleichterung. Tot, ja ja, und wenn ich tot bin, bin ich frei. Wenn ich tot bin, bin ich endlich Nichts. Kein Schmerz und keine Freude, kein vor Sattheit praller Wanst, nicht die Liebe, keine Qual. Nichts, gar nichts, der Kopf ist frei. Aber ich denke ja, denk ich, und bin doch tot. Kommt ein Religionslehrer vorbei und sagt, das ist die Seele. Da fick mich doch der Teufel, sag ich da. Kannst du haben, sagt der Teufel. Pech gehabt, denk ich, hat doch der Pfarrer Recht gehabt.

 

Da ist das Licht, das von Atom zu Atom springt. Ein schöner Gedanke, sagt das wurstbrotartige Gebilde, und verschwindet in der Wirklichkeit. Illuminiert, sag ich, und, die Zeit, das ist der Zwischenraum. Fickt Shakespeare, tönt es aus der bewussten Ecke, Lichtzeit, wo nichts ist, da herrscht die Dunkelheit, ohne Sein kein Schein, Punktum, was immer er auch ruft, die Brunft bringt ihn noch um. Das Blut ist es, am Laufsteg, der unendlich weit im Universum sich verliert die Endlichkeit gebiert; und doch, sag ich, bin ich schneller als das Licht, ich bin der Zwischenraum.

 

ICH, sagt Gott unendlich, das bin ICH. Ohne Sein kein Schein. Du kannst ihn sehen, ICH trage ihn am Kopf, den SCHEIN. Gleissend hell, das ist die Wahrheit. DIE WAHRHEIT. Ohne MICH ist alles NICHTS. Und das NICHTS, das bin ICH auch. Hast du das verstanden, sagt Gott, hast du das kapiert? Ganz natürlich spricht ER das, ganz ohne Widerhall. SO IST DAS, sagt Gott, ICH BIN DAS ALLES, UND DAS NICHTS, DAS BIN ICH AUCH.

 

So ist das, denk ich. So, wie die Schuhbänder reissen an toten Schuhen, so, wie Küchenmaschinen Gemüse zu Gatsch verquirlen, so, wie Kaffeemaschinen dampfend röcheln, so, wie Mehl zu Teig zu Brot zu Schimmel wird, so wie Scheisse zu Kopfe steigt um zu kulminieren in WAS - was sei WAS, was sei SEI, was sei Scheisse, und ficken zum Hauptspass - wie vögelt sichs im Nirwana, und ich als Mann, verspritz ich Hirn? Mostkrug halbvoll, Feuerzeug halbleer, und der Rasen bedeckt mich, mit Radieschen spielt, wer immer auch, Golf, Küchenmaschinen, ja, und Kaffeemaschinen, ja ja, knetet den Teig, und die Angst - die Angst. Riesige Busen fallen auf die Erde und verzehren sie in einem allerletzten, gleissenden Aufschrei des Lichts, die Mutter stirbt, was bleibt, ist Alles, Nichts. Hier ist das Auge, das sich selber sieht. Jetzt. Den Satan schuf Gott jetzt.

 

Ich schwitz wie Sau. Ich muss eine rauchen. Kaltes Wasser ins Gesicht. Fenster auf. Atmen. Besser hinaus, da ist mehr Luft. Eine rauchen.

 

Ein schöner Tag.

 

Es ist ein schöner Tag. Warm ist er und hell. Und voller Gerüche, wie das ist am Land.

 

Rauchen. Der Rauch zieht immer in die selbe Richtung. Oder woandershin, da hat sich nichts geändert.

 

Sauf nicht so viel, raunt es aus der Dunkelheit im Kopf, das Saufen macht dir schwere Träume.

 

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